Was kümmert mich Marie?
von Anna Terris
Das Geheimnis eines Tagebuchs
Irma verfügt eigentlich nicht über besondere telepathische oder übersinnliche Fähigkeiten. Doch neuerdings hat sie seltsame Träume, die alle mit dem Leben einer im Koma liegenden Frau zusammenhängen.
Marie. Deren Tagebuch verübt einen derart starken Sog auf sie, dass sie es unbedingt in ihren Besitz bringen muss. Dabei lernt sie zufällig auch noch Pierre kennen, den charismatischen Freund der Patientin, der sie bittet, ihm bei einem fragwürdigen Vorhaben zu helfen.
In irgendeiner Weise scheint ihr eigenes Leben mit dem von Marie in Verbindung zu stehen. Doch worin besteht diese Verbindung, und kann sie Pierre trauen?
Stück für Stück liest sich Irma durch das Tagebuch und kommt schließlich seinem Geheimnis auf die Spur. Dabei hadert sie immer wieder mit der Stimme ihres egoistischen Unterbewusstseins, das frech und unverschämt und in den unpassendsten Situationen seine Meinung preisgibt.
„Ein spannender, witziger und zugleich tiefgründiger Kurzroman über die Kostbarkeit des Lebens“
Leseprobe
Eine füllige rothaarige Frau mittleren Alters stand in der offenen Tür und lächelte sie warmherzig an.
»Kommen sie herein, junge Dame, ich habe sie schon erwartet.«
Ja klar, dachte Irma, polier noch mal deine Glaskugel, Mütterchen, denn ich werde deine Dienste nicht in Anspruch nehmen.
»Oh doch, das werden sie, aber für sie ist es kostenlos, ich habe den Auftrag, ihnen zu helfen. Erschrecken sie nicht, ich kann zwar ihre Gedanken wahrnehmen, doch ansonsten bin ich völlig ungefährlich. Ich tue keiner Fliege etwas. Kommen sie, Engelchen, kommen sie« Glucksend drehte sie sich um und ging ins Innere der kleinen Wohnung.
Irma folgte ihr mit einer Mischung aus Neugier und einem unguten Gefühl.
Wer weiß, was die Hexe im Schilde führt! Ausnahmsweise waren sie und ihr Unterbewusstsein sich einmal einig.
Der Raum, welcher wohl gleichzeitig als Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer fungierte, war vollgestopft mit Büchern. Sie lagen in Stapeln überall auf dem Boden zwischen zusammengewürfelten antiken Möbeln. An den Wänden hingen zahlreiche dämonisch wirkende Masken und auf einer alten Kommode tummelten sich alle Arten von religiösen Figuren: Buddhas, Marienstatuen, kleine Engel, hinduistische und alt-ägyptische Gottheiten.
Sie setzten sich an einen kleinen runden Tisch und Madame Crassaud sah sie eine Weile an, dann begann sie zu sprechen.
»Ich habe drei Botschaften für sie… Erstens: Sie müssen eine große Liebe loslassen, um eine noch größere zu finden… Zweitens: Hören sie auf die Worte der im Zwielicht wandelnden… Drittens: Durch den Tod können sie zu sich selbst zurück finden«
Nach einer kleinen Pause schien sie wie aus einer Trance aufzuwachen, nahm das verdutzte Gesicht ihres Gegenübers wahr und lächelte.
»Ich weiß, dass sie diese Worte noch nicht richtig verstehen können. Es wird eine Weile dauern, bis sich Ihnen der Sinn entschlüsselt. Aber ich kann im Moment noch nicht genauer darauf eingehen. Es ist immer eine Gradwanderung, den Menschen Hinweise zu geben, ohne sie zu sehr zu beeinflussen und in ihr Schicksal einzugreifen. Jeder muss seine Erfahrungen selber machen und seine eigenen Entscheidungen treffen. Das ist ein göttliches Gesetz. Prägen sie sich die drei Botschaften gut ein. Es wird ein Zeitpunkt kommen, da sie meinen werden, eine oder mehrere in ihrem tieferen Sinn zu verstehen. Wenn es soweit ist, kommen sie ruhig noch einmal hierher. Vielleicht kann ich ihnen dann mehr sagen«
Träum weiter, Alte! Die Arroganz ihres Unterbewusstseins kannte keine Grenzen. »Darf ich sie noch etwas fragen?« Irma nickte und runzelte die Stirn. Sie hatte die ganze Zeit über wie benommen geschwiegen und zugehört. Jetzt fing ihr Gehirn wieder an zu denken. »Wer hat ihnen den Auftrag gegeben, mir zu helfen?« »Die göttliche Energie, Schätzchen«, antwortete die Frau »oder auch das allumfassende Bewusstsein. Oder meine Intuition, wenn ihnen das lieber ist. Wie wir es nennen, ist egal. Wichtig ist, dass wir mit ihm in Verbindung bleiben.«
Über die Autorin
Meine Grundschulzeit habe ich in Frankreich verbracht und einen Teil meiner Jugend im Krankenhaus, wo ich gegen eine seltene Art von Knochenkrebs kämpfen musste. Daher habe ich schon früh damit begonnen, mich mit mystischen und philosophischen Themen wie Tod und Wiedergeburt und dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen, die ich zunächst meist in Gedichtform verarbeitete.
Wie Irma in „Was kümmert mich Marie?“ rede ich ständig mit mir selbst, bin oft naiv und gutgläubig und habe in einigen Bereichen leicht autistische Züge. Deswegen muss ich oftmals erst einen Umweg gehen, bevor ich wirklich meinen eigenen Weg finde. Eine gute Portion Eigenhumor ist dabei meist von Vorteil!
Mein nächster Kurzroman wird hoffentlich schon bald fertig werden. Darin begeben sich zwei Autisten und ein Nerd auf einen Roadtrip, der ihr Leben verändert.
Neben den Kurzromanen schreibe ich auch Poetry Slam. Schaut doch mal in meinen Youtube-Kanal, dort findet ihr meine neuesten Wortwerke!